Auch der 145. Heidelberger Zungenschlag als Audio-Stream
Von Jutta Schneider
Noch immer bleiben Bühnen unbeleuchtet und Zuschauerräume leer. Aber zum Glück ist der 145. „Zungenschlag“ als Audiostream vernehmbar. Darin wird anfangs an dessen 100. Ausgabe erinnert und daran – mit der Stimme von Christian Brückner –, wie eigentlich alles angefangen hat: Wie Gott Himmel und Erde und den Zungenschlag schuf und sprach „Es werde Licht“ (also Licht = Beleuchtung und Finsternis = keine Beleuchtung). Es wurde Abend und es wurde Morgen, und Gott schuf den Privatermittler Harry Stahl mit Dackel Romeo. Er schuf eine Band und nannte sie „Schlag auf Schlag“ und eine erstaunliche „Assistänzerin“ namens Frau Warth. Und am sechsten Tag kam er, die Krone der Schöpfung – der Moderator: Herr Naumer. So geschah es und Gott sah, dass es gut war. Soweit das Archiv.
Derzeit fehlt allen die Freiheit, auftreten zu dürfen, womit wir beim Motto der Veranstaltung wären: Freiheit. So sitzen halt alle zu Hause vor dem Kühlschrank; insbesondere Frau Warth, die mittlerweile derart aus der Form geraten ist, dass sie zum ersten Mal im Leben eine Jogginghose trägt. Sie genießt die Freiheit im Drogeriemarkt mit seinem üppigen Sortiment. Statt Champignon- gibt es Shampoo-Suppe. Und sie spielt mit einer Puppenstube mit max. fünf Puppen aus zwei Haushalten Kaffee- und Kuchenkränzle. Aber dann muss sie den Kuchen immer komplett alleine aufessen. Sie philosophiert auf Schwäbisch und zitiert Milva: Freiheit in meiner Sprache heißt, „I gang aus mir raus“.
In der Rubrik „Zungenschlag aktuell“ fragen Jean Michel Räber und Herr Naumer, wer wann welche Freiheitsrechte bekommen wird und fordern: Freiheit für „Geimpftete“. Und dann war da noch Boris Johnson, der sich die Freiheit genommen hat, seine Dienstwohnung in der Downing Street für 200.000 Pfund aus der Staatskasse renovieren zu lassen. Wegen nicht vorhandener Reisefreiheit kann leider niemand hinfahren und sich das anschauen. So bleiben nur einige Gedanken über die Freiheit der Kunst, die hier zum Einsatz gekommen ist und das Fazit: Nur im Chaos findet der wirre Geist des Bewohners Ruhe.
Zungenschlag-Gast Dietmar Wischmeyer fragt sich: Wann ist der Mensch so richtig frei? Antwort: In der Freizeit! Und Wo? Im Wald, oder dem, was davon übrig ist und in diesen Zeiten zur Ersatzfußgängerzone verkommt. Die Natur wird nicht mehr mit Ehrfurcht wahrgenommen, sondern nur noch als Ding, das man verwerten kann. Rumlatschen im Gehölz wird glorifiziert als „Waldbaden“.
Ein musikalisches Schätzchen aus dem Zungenschlag-Archiv sind die Band „Schlag auf Schlag“ und Nina Wurman mit dem Song „Out of this World“. Die brandneue Komposition von Bassist Stefan Schmolck heißt „Bird of Paradise“, und Bernhard Bentgens besingt die Freiheit für Kopf und Beine mit „Ich bin so frei“.
Ganz privat meldet sich Jean Michel Räber zu Wort. Als Schweizer habe er ein ganz besonderes Verhältnis zur Freiheit und eine Armbrust über dem Schreibtisch hängen. Aber wehe, wenn man ihm käme mit einem „Du musst“, dann erwache in ihm der Wilhelm Tell. Auch Räbers Alter Ego, der Privatermittler Harry Stahl kommt zum Zuge in der Episode „Nächste Demo, Heidelberg“. Eine unangekündigte Quer-diagonal-tangential-Demo bei uns? Dazu recherchiert Harry, was ihn im ICE nach Stuttgart führt, incl. neuestem Bahn-Service „Scream and Travel“ („Schreien sie an, wen sie wollen“). Schließlich im Flieger – über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein – nach Berlin, aber auch dort findet er nichts Erhellendes. Zurück in Heidelberg kommt er gerade noch rechtzeitig zur unangemeldeten Demo: aber keine Querdenker, sondern „Nein zum Stadthallenumbau!“.
INFO: 146. Zungenschlag am 3. Oktober, hoffentlich wieder live im Heidelberger Theater.