Oblomov hat den Dreh raus

„Thema Müßiggang“ beim 148. Zungenschlag im Theater
Von Jutta Schneider
Besser hätte der Einstieg in den 148. Zungenschlag nicht sein können: Noch ehe sich der Vorhang im Heidelberger Theater öffnete, hörte man den berühmten Ehepaar-Sketch von Loriot („Ich möchte einfach nur hier sitzen!“). Und schon war klar, das Abendmotto lautete: Müßiggang. Leider musste Frau Warth coronabedingt zu Hause bleiben und wurde nur per Video kurz zugeschaltet.
Gastgeber Axel Naumer hingegen schleppte sich trotzt „Rücken“ auf die Bühne und moderierte gewohnt souverän. Er hatte sich der Muße hingegeben und entsprechende Texte bei Georg Büchner, Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke besorgt, der schrieb: „Jedenfalls ist es sehr wichtig, mit Vertrauen müßig zu sein, mit Hingabe, womöglich mit Freude.“ Und die vermittelte dann der Heidelberger Poetry-Slammer Daniel Wagner. In seinen Wortsalven ließ sich der selbsternannte wandernde Wortschöpfer und junge Vater gekonnt über törichten Unfug und die sexuell übertragbare „Krankheit“ Schwangerschaft aus (in der Jugendsprache „Kugelgrippe“).
Und wo verläuft die Grenze zwischen Müßiggang und Depression? Dies beantwortete Jean-Michel Räber, indem er aus seinem erfolgreichen Projekt „Oblomov – Stolz – Transit“ für die UNESCO-Literaturhauptstädte Ulyanovsk und Heidelberg las. Dazu hatte er für einen köstlichen fiktiven E-Mail-Briefwechsel Ivan Goncharovs Romanfiguren Oblomov – den Müßiggänger schlechthin – und den aktiven fleißigen Andrej Stolz in die Gegenwart geholt.
Moderiert von Naumer und Räber erhielt diesmal das „Zungenschlag-Radio“ etwas breiteren Raum mit Politiker-Einspielern im O-Ton – Realsatire pur. Es erschien dazu live die großartige Parodistin Antonia von Romatowski, die gekonnt in die Rollen diverser Politikerinnen schlüpfte. Ihr Highlight: Angela Merkel.
Auch Räbers Hörspiel-Detektiv Harry Stahl, der sich um sein Domizil im Menglerbau sorgt, kam wieder zum Zuge. Er lernte diesmal, in Abwesenheit von Schwäbin Gerda, deren verlorengegangene „Zwillingsschwester“ Franzi kennen (gegeben von Antonia von Romatowski mit bayrischem Zungenschlag).
Und natürlich waren auch die Musikbeiträge wieder von der Muse geküsst: Nina Wurman sang „I’m Lazy That’s All“, und die Band Schlag auf Schlag jazzte „Corowood“ von Dirik Schilgen. Liedermacher Bernhard Bentgens begab sich ringelbesockt auf den „Gang zu meiner Muse“.
Zur Rubrik „Lieblingsgäste“, wofür Mitwirkende aus früheren „Zungenschlägen“ eingeladen werden, erschien Stargast Tim Fischer mit seinem Pianisten Thomas Dörschel. Zunächst beklatschte das Publikum seine „Rinnsteinprinzessin“, aber auch nach den tiefgehenden Chansons „Spötterdammerung“ von Friedrich Hollaender und „Ein Koffer spricht“ mit dem Text der Lyrikerin Ilse Weber, geschrieben im KZ Theresienstadt, gab es begeisterten Beifall – nachdem alle erst einmal tief durchgeatmet hatten.
Auch wenn bei diesem Zungenschlag wegen der traurigen Tagesaktualität oft Moll-Töne angeschlagen wurden, geriet er nicht in eine depressive Phase. Freuen wir uns also auf die beiden Letzten.

INFO: Der 149. Zungenschlag (der vorletzte!) am 18. September im Heidelberger Theater.