Aber kaum „Cats“ beim 116. „Zungenschlag“ im Heidelberger Theater
Von Jutta Schneider
„Musical“ – dieses Abendmotto war schon lange fällig gewesen und wurde endlich beim 116. Zungenschlag im Neuen Saal des Theaters ausgiebig zelebriert. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Heidelberger Theaterpublikum, in dieser Sparte nicht gerade verwöhnt, war begeistert über den Querschnitt durch fast 100 Jahre Musical. Gastgeber Axel Naumer bestach diesmal mit seinen Fähigkeiten als Dozent, wusste allerlei Wesentliches und Unwesentliches zum Thema zu berichten und brachte es auf den Punkt. Die Geschichte des Musicals fällt in zwei Teile: vor-„Hair“ und nach-„Hair“.
Es gab interessante Einblicke in Musicals wie z.B. „Showboat“, „Hair“, „Cabaret“, „Little Shop of Horrors“, oder „Wicked“, die erfolgreich liefen und laufen, und auch in einige, die hierzulande (noch) nicht so recht den Gassenhauer-Status erreicht haben wie „Oliver“, „Rent“ oder „Avenue Q“. Andrew Lloyd Webbers Musicals, die ohnehin in aller Ohren sind, wurden nur mit einem kurzen Medley bedacht, denn das Zungenschlag-Team hat eine „Cats“-Allergie.
Für die gesanglichen Darbietungen waren mit Julia Lißel, Marie-Anjes Lumpp, Oliver Morschel und Markus Schneider die passenden Gäste für den Abend engagiert worden. Allesamt Absolventen der Musical-Klasse der Essener Folkwangschule, bestachen sie in Duetten, Quartetten oder auch solistisch, wobei besonders Julia Lißel mit „The Girl in 14G“ von Jeanine Tesori ihre enorme stimmlichen Beweglichkeit beweisen konnte.
Die Zungenschlag-Band „Schlag auf Schlag“ beschränkte sich diesmal, verstärkt um Anne Schumacher am Cello und Gitarrist Daniele Aprile, hauptsächlich aufs Begleiten. Auch das übrige Zungenschlag-Personal kam zurückhaltender und solistisch vor allem im ersten Teil des Abends zum Einsatz: Bernhard Bentgens präsentierte sein Lied zum Thema; T.C. Breuer in knallrotem Anzug vor grün gefärbtem Bühnenhintergrund machte sich Gedanken zur Musical-Affinität der rot-grünen Landesregierung: Immerhin gibt es in Stuttgart ein Musical-Zentrum, und vielleicht kommt ja dort bald „Kretsch-Man“ raus. Multitalent Frau Warth, die auch gesanglich brillierte, konnte sich nicht bremsen und erschien – ganz musical-like – mit einer kessen Step-Einlage.
Auch die sprechenden Abendgäste Henning Venske und Kai Magnus Sting hatten schon früh ihren Auftritt mit einem Ausschnitt aus ihrem aktuellen Programm „Gegensätze“. War das etwa Kabarett versus Comedy? Nicht wirklich, denn der Comedian diente dem Urgestein des politischen Kabaretts eigentlich nur als Stichwortgeber, schlug sich aber dennoch tapfer.
Die von Axel Naumer geschriebenen szenischen Dialoge zwischen den Gesangseinlagen wurden vom gesamten verfügbaren Sprechpersonal gelesen und von Nina Wurman mit Geräuschen umspielt. Streckenweise waren sie aber etwas langatmig und wohl eher der Radioübertragung der Veranstaltung geschuldet, um hierfür fliessende Übergänge zu schaffen. Gleichwohl, musikalisch war der Abend ein Knaller.
Ach so: Von der Wirkung des Niesspulvers, das Proben im Heidelberger Theater beeinträchtigt hatte und dem Jean Michel Räber im Hörspiel als Privatdetektiv Harry Stahl auf die Spur kam, spürten die Zuschauer zum Glück nichts; dennoch blieb es nicht ruhig im Saal, sondern sie klatschten, was ihre Hände hergaben.