Wie reizend!

Schlüsselreize für fast alle Sinne beim 136. Zungenschlag im Heidelberger Theater

Von Jutta Schneider

Auf geheimnisvoll vernebelter Bühne las Jean-Michel Räber zum Auftakt des 136. Zungenschlags im Heidelberger Theater den Anfang von Patrick Süskinds „Das Parfum“. Welches Abendmotto mochte wohl hinter all den Geruchsbeschreibungen stecken? Als „Assistänzerin“ Frau Warth in Netzstrümpfen und auf 20-cm-Plateau-Tretern einen lasziven Striptease beginnen wollte, schritt Gastgeber Axel Naumer ein und lieferte die Antwort: Um Reize würde es gehen. Diese sind gar vielfältig und können die menschliche Wahrnehmung ganz schön beanspruchen.

Ein frühlingshafter Schlüsselreiz lässt Gänseblümchen, auch Tausendschönchen genannt, erblühen. Was lag da jahreszeitbedingt näher, als Kabarettistin Nessi Tausendschön zu engagieren. Von Gitarrist William Mackenzie begleitet, sang sie ihr Lied „Die wunderbare Welt der Amnesie“ und versuchte, mit – nicht wirklich spontan – Improvisiertem die Reizschwelle des Publikums zu erreichen, was der selbsternannten „Kapazität für bodenständige Zerstörungslyrik“ aber nicht so recht gelingen wollte. Später strich sie eine singende Säge zu ihrem Lied „Knietief im Paradies“ und skandierte „Make Kleinkunst great again!“.

Thomas C. Breuer traf das Abendmotto mit der Erkenntnis, dass die Leute überall auf der Welt gereizt wären. Der Grund? Übertourismus! Wo bleibt in Heidelberg eine Anti-Touri-Intifada, die nach dem „Modell Hameln“ mit falschen Stadtführern Touristen einfängt, sie in die umliegenden Waldgebiete lockt und dort aussetzt? Angesichts der Wildpinkler in der Altstadt befällt die Einwohner der Brechreiz. Breuer fordert „Human Reiz“ für die Ortsbevölkerung!

Akustische Reize gab es, a cappella bestens präsentiert von Rosemie Warth Nina Wurman und Bernhard Bentgens als „Triologie“. Und auch die Band „Schlag auf Schlag“ geizte nicht mit – von Schlagzeuger Dirik Schilgen komponierten – Jazz-Reizen.

Frau Warth berichtete von ihrem neuen Job im Bürgeramt Mitte, wo sie mithilft, an der Abmeldestelle für Dieselautos den Andrang zu bewältigen. Da die aber zwecks Parkplatzsuche erst fünfmal um den Block gefahren werden, wird die Luft dort dick. Folge für Frau Warth: Ihr einziger Reiz ist ihr Hustenreiz. Warum nicht zur Luftverbesserung statt Hardware-Update lieber ein „Mini-Update’le“ mit Erfrischungstüchlein? Gleich ließ sie welche im Publikum verteilen und sorgte damit für eine olfaktorische Reizüberflutung.

Extrem-Reize für Auge und Ohr gab es durch Stroboskoplicht und Hardrock-Geräusche bis fast zur Schmerzgrenze, was Herr Naumer zur Überleitung nutzte, um den Diplom-Psychologen Bernhard Trenkle vorzustellen. Auch wenn die Unterhaltung mit ihm eher reizlosen Vorlesungscharakter hatte, berichtete der Hyponosetherapeut Interessantes über die Möglichkeiten der Tiefenentspannung zur Schmerzunempfindlichkeit und selbst erlebte Hypnose beim Zahnarzt. In Trance-Zustand versetzt hat er damit aber zum Glück das Publikum nicht, denn es applaudierte am Ende für einen reizvollen Abend.

INFO: 137. Zungenschlag am 10. Juni 2018 (Vorverkauf ab 1. Mai).