Wohin mit all den Büchern?

Der 117. „Zungenschlag“ im Heidelberger Theater

Von Jutta Schneider

Nun hat das Zungenschlag-Team doch schlappe 20 Jahre gebraucht, um in der Universitätsstadt Heidelberg auf das Abendmotto schlechthin zu kommen: Bücher! Die Stadt soll doch 1948 tatsächlich ausgeschlagen haben, Austragungsort der Buchmesse zu werden. Das wird wohl auch ein Literaturhaus nicht mehr wettmachen. Dennoch ist es nie zu spät, dem Publikum Literatur(produkte) näherzubringen, und so ging beim 117. Zungenschlag mit literarisch-geschmeidigem Wortwitz ein anspruchsvolles und kurzweiliges Programm über die Bühne.

Das Personal blieb dabei – fast – auf die Zungenschlag-Kerntruppe beschränkt: Moderator Axel Naumer, „Assistänzerin“ Frau Warth, Liederkomponist Bernhard Bentgens, Wortkünstler Thomas C. Breuer, „Harry Stahl“-Autor und -Darsteller Jean Michel Räber, die vier Musiker der Zungenschlag-Band „Schlag auf Schlag“. Nicht zu vergessen die wunderbare Sängerin Nina Wurman, die gemeinsam mit Rosemie Warth und Bernhard Bentgens dessen Kantate vortrug „Wohin mit all den Büchern…“ und direkt auch die Antwort gab „Wir laden ganz legal ins Digitalregal.“

Es gab einen Abendgast, und der bot zunächst das, was das Publikum von ihm erwartete, nämlich virtuose Imitationen von Helmut Kohl, Willy Brandt und Franz Josef Strauss: Thomas Freitag. Und dann stiess er den Finger in die Wunde. Hatte sich Goethe noch eines aktiven Wortschatzes von 90.000 Wörtern bedient, bringt es der heutige Durchschnittsdeutsche gerade mal auf 10.000. Kein Wunder, erfüllen doch die wenigsten die Kriterien der „Hundert-Bücher-Regel“ (Wo zu Hause 100 Bücher im Regal stehen, machen 80% der Kinder Abitur). Schließlich setzte er noch einen drauf und spielte vor, wie es Friedrich Schiller wohl erginge, würde er einem Verleger heutzutage seine „Räuber“ anbieten: Heraus käme vermutlich ein grauenvolles Elaborat aus Schwedenkrimi und Pilcher-Schmonzette unter dem Titel „Die Räuberin“, als Hörbuch gelesen von Til Schweiger und Uschi Glas. Buchliebhaber wenden sich ab mit Grausen. Mit dem „Tagebuch eines Rentners“ hatte Freitag dann erneut die Lacher auf seiner Seite, auch wenn der Beitrag doch ein bisschen nachdenklich machte.

Heidelberg und Bücher, wahrlich eine lange Geschichte, erklärte Thomas C. Breuer: Einst die „Manessesche Sauklaue“, später Eichendorffs „Des Knaben Wunderhorn“, woher der kleine aber feine Heidelberger Verlag seinen Namen hat. Aber es sind auch richtig große Verlage hier angesiedelt (darunter sogar einer der größten Wissenschaftsverlage der Welt). Und es gibt Lesungen allerorten – im Linienbus, am Tresen oder sogar im Schnellrestaurant Rohrbach-Süd. Verlogenheitslesung oder Verlegenheitslösung?

Eigentlich könnte das Zungenschlag-Team noch einen zweiten Abend zum Thema Bücher vorbereiten, Material gäbe es in Heidelberg ja genug. Mal sehen, vielleicht in 20 Jahren…