Auf Neurosen gebettet

„Geist und Psyche“: Ein therapeutischer 112. Zungenschlag im Heidelberger Opernzelt

 Von Jutta Schneider (RNZ 19.4.2012)

Der „Zungenschlag“ als Therapie – was für eine großartige Idee. Das Team um Axel Naumer hatte sich diesmal im Heidelberger Opernzelt dem Thema „Geist und Psyche“ angenommen und damit sich selbst die Vorlage schlechthin geliefert. Erstmals geriet der sonst eher statische Moderator in Bewegung und dank seiner „Assistänzerin“ Rosemie Warth tanztherapeutisch körperlich mal so richtig aus dem Häuschen. Was sogar das Publikum von den Sitzen riss.

(Musik-) Psychologisch agieren wollte auch Bernhard Bentgens, der allerdings versehentlich ein Lied über Depression geschrieben hatte. Das zog vielleicht runter! Kurz darauf sang er dann aber in traurig-schönsten Tönen gemeinsam mit Nina Wurman und Rosemie Warth als „Triologie“: Gaaanz melancholisch.

Dass Heidelberg – auf Neurosen gebettet – mehr Therapeuten als Einwohner hat, ist ja hinlänglich bekannt, aber dass es damit die „deutsche Mackenmetropole Nr. 1“ ist, brachte Thomas C. Breuer den Zuschauern bei, und er hinterfragte, ob „Burnout“ nicht einfach eine Erfindung der Besitzer von Wellness- Hotels sei. Er schöpft, sie schöpft – aber woraus? Da hilft nur noch „Turbo-Chillen“.

Völlig „depri“ drauf war – in schwarzem Kapuzenpullover – Nico Semsrott, unter „Scheitern“ auf YouTube als Nr. 1 zu finden. Gleichwohl machte er als selbsternannter Erfinder der „Unglückskekse“ das Publikum glücklich mit Sprüchen wie: „Beginn’ den Tag mit einem Lächeln – dann hast du’s hinter dir.“

Apropos Lächeln: Jean-Michel Räber ließ seinen Hörspiel-Privatdetektiv Harry Stahl im Auftrag der liebesentbrannten Bekannten Gerda einen chinesischen Straßenbahnexperten suchen. Aber letztlich gab es nur für das Publikum etwas zu lachen, denn der Asiate hatte Familie…

Musikalische Extraklasse bot Frank Grischek, der über sein „ehrliches, zuverlässiges und komplett bankfinanziertes“ Instrument, das auch noch hilft, körperliche Unzulänglichkeiten zu überdecken, sagte: Akkordeon (das älteste Instrument, denn es hat die meisten Falten) lerne man nur um zu erkennen, dass es wirklich wichtige Instrumente gibt. Aber bei diesem Musiker stand die Quetschkommode absolut im Vordergrund, und seine Finger tanzten geradezu über die Tasten und Knöpfe, als er ihr virtuos neben „Celtic Folk“ sogar eine kleine Fuge von Händel entlockte.

Am Ende lieferte die Zungenschlag- Band„Schlag auf Schlag“ (neuerdings am Piano: Daniel Prandl) und Sängerin Nina Wurman gemeinsam mit „Bartmes“, einer vierköpfigen Band, die zuvor mit ihrer großartigen Sängerin Fola Dada allerfeinsten, groovigen Jazz präsentiert hatte – ein vom Publikum umjubeltes furioses Finale.